Die im Spätmittelalter weit verbreiteten Marienleuchter zeichnen sich nicht nur durch die Kombination einer Marienfigur mit einer Leuchtmittelvorrichtung aus, bei der es sich in der Regel um eine Leuchterkrone handelte. Vielmehr erweisen aufwändige Verzierungen, teils zahlreiche Begleitfiguren, ehemals zugehörige Hebe-/Senkmechanismen und Hüllen den Ensemblecharakter derartiger Leuchter.
Überliefert sind Marienleuchter vornehmlich aus dem ehemals deutschen Sprachraum. Der ursprünglich wohl sehr umfangreiche Bestand ist allerdings mit heute etwa 100 Exemplaren stark dezimiert. Die weitaus überwiegende Zahl der erhaltenen Marienleuchterensembles hängt bis heute in Kirchen, meist Pfarrkirchen.
Die Madonnen der Marienleuchter folgen dem Bildtypus der Mondsichelstrahlenkranzmadonna, einer Mariendarstellung mit Mond- und Sonnenattribut. Dieser Bildtypus geht auf das Apokalyptische Weib der Geheimen Offenbarung nach Johannes zurück. Durch die zentrale Darstellung dieser Maria Apocalyptica und durch die Beigabe von Begleitfiguren und/oder die Gestaltung der Leuchterkrone wurden derartige Leuchterensembles zum anschaulichen Bild ´Unserer Lieben Frau in der Sonne´, wie man Maria im Spätmittelalter auch nannte und an die man sich vertrauensvoll als Fürsprecherin in diesseitigen wie jenseitigen Anliegen wandte.
Marienleuchter wiederum vermittelten nicht nur in übersteigert realistischer Darstellung diese zeitgenössischen Vorstellungen von Maria, vielmehr konnten sie die mit der Marienfrömmigkeit verbundenen Handlungen – Gebet und Andacht – auslösen oder zumindest begleiten. Eine besondere Rolle spielten das Ave Maria, das Salve Regina und das Rosenkranzgebet. Der Lichtschein ihrer meist sehr zahlreichen Kerzen verstärkte dabei im Verein mit der freiplastischen Aufhängung den Aspekt der Erscheinung der Maria Apocalyptica und so schien sich Maria im Bild der illuminierten Marienleuchter tatsächlich dem Betenden zuzuwenden. Darüber hinaus waren derartige Leuchter aufgrund ihrer Beleuchtungsfunktion und Ikonographie in die Liturgie, vor allem jene der Marienfeste, eingebunden.
Die in Anschaffung und Unterhalt äußerst kostspieligen Marienleuchterensembles wurden in der Regel von Gruppen, vor allem Bruderschaften, geschenkt und unterhalten: Die großen, weithin sichtbaren, kostbar gestalteten Leuchter galten zum einen als gottgefällige Schenkung, als sogenanntes ‚Seelgerät‘. Zum anderen zogen insbesondere die illuminierten Leuchterensembles zahlreiche Betrachter an und animierten diese zu Gebeten, die sie nicht allein für sich sprachen, sondern gleichfalls den Leuchterschenkern zu Gute kamen. Ein sicher gleichbedeutender Beweggrund, sich an Entstehung und dauerhaftem Unterhalt eines Marienleuchters mindestens zu beteiligen, dürfte jedoch ein äußerst weltlicher gewesen sein, rechneten die Schenker doch damit, dass dies ihrer Repräsentation in der Kirchen- mithin in der Stadtgemeinschaft diente.
Am Beispiel der großen Figurenleuchter des Spätmittelalters und hier an den sogenannten Marienleuchtern erweist sich insofern, dass mittelalterliche Sakralleuchter multifunktional waren. Sie dienten keineswegs ausschließlich der praktischen Beleuchtung des Kirchenraums. Mehr noch waren sie auf vielfältige Weise eingebunden in die mittelalterliche Gebets- und Andachtspraxis des Einzelnen ebenso wie in die gemeinschaftliche Liturgie, deren Gehalt und Intention sie verbildlichten und deren Festcharakter sie – im Rahmen einer weitergehenden Lichtinszenierung des Sakralraums – unterstrichen. Darüber hinaus dienten sie der Repräsentation ihrer Schenker. Diese Multifunktionalität wurde nicht nur durch die skulpturale oder lichttechnische Gestaltung der oftmals vielteiligen Leuchterensembles ermöglicht, grundlegend war vielmehr in jeglicher Hinsicht das von ihnen ausgehende Licht selbst.
Dieser für die spätmittelalterlichen Sakralleuchter und ihre Bedeutung und Funktion zentrale, jedoch bislang kaum beachtete Leuchtertypus wird in der Dissertation der Verfasserin umfassend untersucht, die aufwändig bebildert Anfang 2014 unter dem Titel „Spätgotische Marienleuchter. Formen, Funktionen, Bedeutungen“ in einer Buchreihe der Görres-Gesellschaft im Schnell & Steiner Verlag Regensburg erscheinen wird.
Die Verfasserin arbeitet an einer weitergehenden Erforschung des mittelalterlichen Beleuchtungswesens, weshalb sie für Hinweise auf mittelalterliche Lichtstiftungen oder Leuchter und Schriftquellen bezüglich deren Entstehung, Nutzung und Bedeutung stets dankbar ist.
Mehr zur Autorin unter: www.vera-henkelmann.de
Titeldaten Dissertation:
Vera Henkelmann:
Spätgotische Marienleuchter. Formen, Funktionen, Bedeutungen
Regensburg Verlag Schnell & Steiner 2014
(Eikonikà. Kunstwissenschaftliche Beiträge, Bd. 4)
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